VfGH 07.03.2024, E 2908/2023
Kürzlich befasste sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit dem Verhältnis zwischen dem Recht auf Persönlichkeitsschutz und Menschenwürde zum einen und dem Recht auf Meinungsfreiheit zum anderen. Nach Art 10 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Äußerung. Das umfasst auch „Nachrichten“ oder „Ideen“, die provozieren, schockieren oder beunruhigen. Die Meinungsäußerungsfreiheit hat in einer demokratischen Gesellschaft eine besondere Bedeutung und Funktion inne. Massenmedien haben die Aufgabe, Informationen und Ideen über politische Fragen sowie Fragen von öffentlichem Interesse zu verbreiten. Das Recht auf Persönlichkeitsschutz und Menschenwürde (Art 8 EMRK) schützt demgegenüber die angeborenen Rechte eines Menschen. Dazu zählen die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit, die Ehre, der Schutz des Namens und auch die Privatsphäre.
Anlass für die konkrete Entscheidung war die Berichterstattung der Red Bull Media GmbH im Fernsehprogramm „Servus TV“ in der Sendung „Servus Nachrichten Spezial“ vom 2. November 2020. Die Ausstrahlung hatte den Ablauf der Ergebnisse über den Terroranschlag, der sich an diesem Abend in Wien ereignete, zum Inhalt. Konkret wurden von Dritten aufgenommene Videos und Fotos der Ereignisse ausgestrahlt, die den Schusswechsel des Attentäters mit den Polizisten zeigten, weiters Aufnahmen von zum Teil schwer verletzten Passanten und der Leiche des Attentäters. Die Ausstrahlung dieser Inhalte erfolgte entgegen dem Aufruf der Landespolizeidirektion Wien, wonach keine Bilder oder Videos der Geschehnisse in sozialen Medien gepostet werden sollten.
Die Kommunikationsbehörde Austria als dafür zuständige Behörde leitete amtswegig ein Verfahren wegen des Verdachts auf Verletzung des Audiovisuelle Mediendienste-Gesetzes (AMD-G) ein. Die KommAustria stellte nach Durchführung dieses Verfahrens mit Bescheid eine Missachtung der Menschwürde nach § 30 Abs 1 AMD-G und einen Verstoß gegen § 41 Abs 5 AMD-G wegen Nichteinhaltung der journalistischen Sorgfalt fest. Gegen diesen Bescheid erhob die Red Bull Media House GmbH Beschwerde, die vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als unbegründet abgewiesen wurde. Daraufhin wandte sich die Red Bull Media House GmbH an den VfGH. Dieser hob das Erkenntnis des BVwG auf, da dieses die Red Bull Media House GmbH als Beschwerdeführerin in ihrem, durch Artikel 10 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützten, Recht auf Meinungsfreiheit verletzte.
Der VfGH stellte fest, dass es sich entgegen der Ansicht des BVwG bei der Video- und Bildberichterstattung vorrangig nicht um das „Bedienen der Sensationslust“ handle, sondern um journalistische Berichterstattung, die eine besondere redaktionelle Verantwortung bei der Gestaltung mit sich brächte. Der VfGH im Wortlaut: „Zu dieser Verantwortung gehört es einerseits, dem Persönlichkeitsschutz der Opfer eines Terroranschlages wie dem öffentlichen Interesse an der Bewältigung der Situation durch die Einsatzkräfte, um die Sicherheit der Bevölkerung wiederherzustellen, bei der Berichterstattung Rechnung zu tragen“. Zum öffentlichen Informationsinteresse an einem Terroranschlag gehöre „auch die Aufgabe der Berichterstattung, der Öffentlichkeit die Grausamkeit und Sinnlosigkeit der Gewalt und das Leid, das unschuldigen und an Konflikten, die den Hintergrund eines Terroranschlages bilden“ aufzuzeigen. Es anerkenne Art 10 EMRK das „Interesse, die Öffentlichkeit durch auch schockierende, verletzende und beunruhigende Bilder über die Auswirkungen menschenverachtender Gewalt aufzurütteln“, insbesondere wenn es sich um Terroranschläge handelt.
Der VfGH zeigt damit auf, dass eine Terrorattacke eine Ausnahmesituation darstellt, die für die Öffentlichkeit von dermaßen außergewöhnlichem Interesse ist, dass selbst die Menschenwürde hinter die Pressefreiheit zurücktreten kann.
10.03.2024