Haftung für Shitstorm

OGH 26.04.2024, 6 Ob 210/23k

Der OGH hat kürzlich (OGH 26.04.2024, 6 Ob 210/23k) entschieden, dass ein Teilnehmer eines Shitstorms dazu verpflichtet werden kann, den gesamten durch den Shitstorm verursachten Schaden zu ersetzen. Für den Alltag ergeben sich hier natürlich einige Fragen:

Muss ich ab jetzt bei jedem kritischen Posting die Möglichkeit eines nachfolgenden Shitstorms mitbedenken?

Nach der aktuellen Rechtsprechung: Ja, vor allem, wenn dabei zum Teilen des Beitrages aufgerufen wird. Dann muss mitbedacht werden, dass es auch zur Haftung für Schäden, die erst durch die Weiterverbreitung durch andere User entstehen, oder die bereits durch vorhergehende Beiträge entstanden sind, kommen kann. Das kann freilich vor allem in Grenzfällen, wo auf den ersten Blick nicht klar ist, ob das Posting rechtswidrig ist, überhaupt davon abhalten, sich kritisch zu äußern oder Beiträge anderer „zu teilen“.

Welche Schadenersatzansprüche stehen grundsätzlich zu?

Ein Beitrag oder Posting kann zu medienrechtlichen Entschädigungsansprüchen führen, zu datenschutzrechtlichem oder zivilrechtlichem Schadenersatz sowie – wenn ein Lichtbild einer Person verwendet wurde – allenfalls auch zu einem Anspruch nach dem Urheberrechtsgesetz. Auch wenn mehrere Anspruchsgrundlagen vorliegen, kommt es aber nicht zu einem mehrfachen Ausgleich.

Was ist neu an dieser Entscheidung?

Das Urteil schafft eine Klarstellung, dass bei Shitstorms der Gesamtschaden (der erst durch alle Postings gemeinsam verursacht wird), grundsätzlich auch von einem einzelnen Poster zur Gänze eingefordert werden kann. Der OGH hält aber fest, dass ein Kläger von einem einzelnen Poster den Gesamtschaden nur so lange begehren kann, bis er den Ausgleich für den gesamten Schaden auch tatsächlich erlangt hat.

Wie kommt der OGH zur gemeinsamen Haftung der Poster?

Es lässt sich nicht sagen, welcher Schadensanteil durch welches Posting konkret verursacht wurde. Es soll diese Unaufklärbarkeit zu Lasten jedes Posters gehen, nicht der Geschädigte soll dieses Risiko tragen. Laut OGH muss also nicht der – an den virtuellen Pranger gestellte – Geschädigte den Beweis für die Verursachung eines Schadens jeweils durch den individuellen Poster erbringen, was für ihn umso schwerer wäre, je größer der Shitstorm ausfällt, sondern soll jeder einzelne Poster „für alles“ haften.

Haftet der einzelne Poster immer für den Gesamtschaden?

Grundsätzlich ja, der OGH lässt aber „Hintertüren“ offen. So könnte ein Poster argumentieren, mit seinem Beitrag zum Shitstorm nur unmerklich zum Gesamtschaden beigetragen zu haben. Ein Aufruf zum Teilen ist aber jedenfalls problematisch.

Auch könnte der einzelne Poster behaupten, dass der Geschädigte bereits von anderen Teilnehmern des Shitstorms den Gesamtschaden bekommen hat. Das zu beweisen ist allerdings fast unmöglich.

Kann sich der einzelne Poster bei anderen Postern regressieren?

Ja, nach § 896 ABGB kann theoretisch bei anderen Schädigern anteilig Regress genommen werden. In der Praxis wird dies regelmäßig scheitern. Der einzelne Poster ist hier noch schlechter gestellt als das Opfer, wenn es zB darum geht, bei Social-Media-Plattformen Auskunft über die Identität der anderen Schädiger zu bekommen.

Wie hoch ist der durch den „Shitstorm“ entstandene „Gesamtschaden“ denn tatsächlich?

Dies lässt der OGH im konkreten Fall offen. Es scheint sich auch der Kläger nicht festgelegt zu haben, laut Urteil scheint der Kläger von einem Gesamtschaden von mehr als € 800.000,00 auszugehen, was unrealistisch hoch erscheint. Ein derartiger Betrag lässt sich schwer in Einklang bringen mit der bisherigen Rechtsprechung, die selbst für krasse Fälle in der Regel niedrige fünfstellige Beträge zuerkennt.

Wer entscheidet über die Höhe des Schadens?

Es geht in der Regel um immaterielle Schäden, also um Schäden, die nur in der Gefühlswelt des Opfers eintreten (Kränkung, Angst, Unsicherheit), die nicht objektiv messbar sind. Daher entscheidet das Gericht nach „freier Überzeugung“.

Kann es auch ohne Shitstorm wegen einem einzigen Posting zu Zahlungspflichten kommen?

Ja! Derartige Ansprüche erreichen auch in der Regel zumindest vierstellige Beträge. Dazu kommen Verfahrenskosten. Wenn mehrere Verfahren hinsichtlich eines einzigen Postings eingeleitet werden, kann ein einziges Posting daher sehr teuer werden. Unangenehmer noch sind allfällige Strafverfahren, die mit einer Verurteilung zu einer empfindlichen Geldstrafe enden können.

Beantwortet dieses Urteil alle Fragen?

Nein. Vor allem die Höhe des möglichen Gesamtschadens bei Shitstorms blieb unerörtert. Der genannte Betrag von € 800.000,00 lässt sich schwer in Einklang bringen mit bisherigen Entscheidungen. Es müsste von einem Kläger zumindest gefordert werden, sich auf einen Gesamtschaden festzulegen. Die Beweispflicht dafür, dass dieser Gesamtschaden eben noch nicht ausgeglichen wurde, sollte beim Kläger liegen, denn diesen Beweis kann ein einzelner Poster nie erbringen. Auch die Annahme des OGH, ein Poster könne sich „ungleich leichter“ regressieren, als das Opfer seine Ansprüche verfolgen könnte, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Ganz grundsätzlich scheinen derart massive Haftungsfolgen (und seien sie nur Folge der Verteilung der Beweislast) mit dem Grundrecht auf Äußerungsfreiheit nur schwer vereinbar.

12.07.2024

Das könnte dir auch gefallen

Urheberrechts-Novelle 2021 beschlossen

Mit dem Bundesgesetzblatt I 244/2021 wurde am letzten Tag des...

airbnb und die Gewerbeberechtigungen des Vermieters

Auf welche Kriterien kommt es bei der Beantwortung der Abgrenzungsfrage...

Einreise nach Österreich – bestehende Verordnungen bis 15.06.2020 verlängert

Derzeit stellt sich für immer mehr Menschen in Österreich, nicht...