Was passiert, wenn vertraute Lärmquellen plötzlich zur Belastung werden – nicht, weil sie sich ändern, sondern weil man sich selbst am selben Ort verändert? Wo beginnt der nachbarrechtliche Schutz vor Immissionen, und wann ist man ihnen ausgeliefert?
In Oberösterreich zog ein Ehepaar in das am eigenen Grundstück gelegene Elternhaus um. Zuvor wohnten sie in einem, mittlerweile ihrem Sohn übergebenen, Einfamilienhaus am selben Grundstück, das rund 40 Meter vom Stall ihres Nachbarn entfernt ist. Durch den Umzug reduzierte sich die Entfernung auf 20 Meter. Auf der benachbarten Liegenschaft wird die letzte aktive Landwirtschaft der Gemeinde betrieben. In den Stallungen des Nachbarn sind drei Entlüftungsventilatoren installiert, die Tag und Nacht im Betrieb sind. Der von den Ventilatoren ausgehende Lärm, den das Ehepaar erst seit ihrem Wiedereinzug hören konnte, war so laut, dass sie nicht mehr schlafen konnten. Das Ehepaar klagte auf Unterlassung des – über die örtlichen Verhältnisse hinausgehenden – Lärms.
Im Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung stand die Frage, ob die langjährige Duldung von Immissionen deren Ortsüblichkeit begründet. Nach älterer Rechtsprechung waren Immissionen nämlich zu dulden, wenn sie drei Jahre lang akzeptiert wurden. Wesentlich war in diesem Fall auch die Frage, ob – vergleichbar mit neu zugezogenen Nachbarn – eine bloße Standortverlagerung auf demselben Grundstück eine Duldungspflicht auslösen kann, wenn die Lärmquelle für einen durchschnittlichen Grundstücksnutzer vorhersehbar war.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Ehepaar die Lärmquelle jahrelang geduldet hätte. Diese Ansicht wurde vom Berufungsgericht geteilt: Die Lärmimmissionen bestünden schon lange und wären von den Klägern „in Kauf genommen“ worden. Die Liegenschaft sei landwirtschaftlich genutzt und der Lärm ortsüblich. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hob die Entscheidung auf und stärkte mit seiner Ansicht das Recht des Ehepaars. Ob Lärm die ortsübliche Nutzung des Nachbarhauses wesentlich beeinträchtigt, hänge auch von der „subjektiven Lästigkeit“ der Immissionen ab. An seiner bisherigen Judikatur hielt der OGH nicht fest: Die bloße Akzeptanz über einen Zeitraum von drei Jahren führe nicht dazu, dass von Ortsüblichkeit des Lärms ausgegangen werden könne. Auch könne man im gegenständlichen Fall nicht von „neu hinzugezogenen Nachbarn“ sprechen. Es mache nämlich einen Unterschied, ob jemand eine Liegenschaft bewusst, trotz bestehender Immissionen, neu erwerbe oder, ob er bloß einen Teil der – bereits seit Jahren in seinem Eigentum stehenden – Liegenschaft vorübergehend nicht nutze.
Selbst wenn Lärmquellen über Jahre bestanden haben, verlieren Anrainer also nicht automatisch ihr Recht, sich dagegen zu wehren. Deshalb ist es sinnvoll, dass Betroffene ihre Rechte auch dann (rechtlich) prüfen lassen, wenn die Immissionen „schon immer da waren“ – denn das Maß der Zumutbarkeit ist kein starres Dogma.
OGH 17.12.2024, 10 Ob 38/24x
20.01.2025